AUF DEM WEG ZUM WELTERBE
Die Bewerbung in Kürze:
Einzigartig und Echt
Die Hollerkolonisation war ein europäischer Siedlungsvorgang.
Im 12. und 13. Jh. wurde das tiefliegende Land zwischen Elbe und Geest, von Stade aus Richtung Moorburg von holländischen Lokatoren urbar gemacht. Sie planten das umfassende Entwässerungssystem. 12.000 km Gräben wurden ausgehoben, Deiche, Siele und Schleusen erbaut. Die holländischen Flurmaße, Beet-Graben-Strukturen und die typischen Deich- und Marschhufendörfer sind bis heute zu erkennen.
Durch die Hollerkolonisation wurde das gesamte Leben im Alten Land beeinflusst.
Das milde Kleinklima zwischen den Gräben, der fruchtbare Marschboden und die Wasserwege begünstigten Landwirtschaft, Schiff- und Obstbau und -handel.
Über Jahrhunderte verwalteten sich die Altländer selbst nach frühen genossenschaftlichen und demokratischen Regeln. Deich-, Erb, Nähe- und Frauenrechte waren ihrer Zeit voraus und dienten dazu, Wohlstand und Wirtschaftskraft zu erhalten, um den Deichpflichten nachzukommen.
Bildung und Handwerk hatten einen hohen Stellenwert. Das zeigt sich in Baukunst, einzigartigen Fachhallenhäusern, Buntmauerwerk, Prunkpforten und den vielen kostbaren Orgeln.
Die Bedrohung durch Fluten und die Deichsicherheit und das funktionierende Be- und Entwässerungssystem, sowie die 700-jährige Obstbau-Tradition prägen das Leben in der Kulturlandschaft Altes Land von der Hollerkolonisation im MIttelalter bis in die Gegenwart.
Unversehrt und von außergewöhnlichem Wert
Das Alte Land ist eine der ältesten Hollerkolonien und die am besten erhaltene.
Was ist bei dieser Bewerbung anders als 2012?
Als Welterbegut wird nicht die gesamte Fläche nominiert, sondern 13 Traditionskerne. Sie wurden aufgrund ihrer Echtheit und Bedeutung ausgewählt. Diese Form der Nominierung nennt man seriell. Das serielle Gut – die 13 Traditionskerne – stehen beispielhaft für die Einzigartigkeit der gesamten Kulturlandschaft, die als Pufferzone in die Bewerbung aufgenommen ist. Sie entspricht dem Kerngebiet des niedersächsischen Sondergebietes Obstbau. Eine Pufferzone stellt keine eigene Schutzkategorie im rechtlichen Sinne dar. Sie dient als Bekenntnis, die Kernzonen eines Welterbegutes zu schützen.
13 Traditionskerne repräsentieren die Kulturlandschaft Hollerkolonie Altes Land
1 Hollerner Kirche
St. Mauritius, 11./12. Jh. Der als Wehrturm erbaute Kirchturm ist das älteste erhaltene Bauwerk aus der Hollerzeit. Im Kern des Turms ist romanisches Granitmauerwerk im Original erhalten; Grundmauern des Kirchenschiffs aus gotischer Zeit; innen herausragende im Original erhaltene Zeugnisse des kirchlichen Umbruchs seit 1540; Orgel von 1575 wurde im 17. Jh. durch eine Schnitger-Orgel ersetzt (immaterielles Welterbe Orgelbau und Orgelmusik).
2 Mittelalterlicher Elbdeich in Borstel
Denkmal-Ensemble mit Mühle in Borstel, 12. Jh. Der Deich wurde im Zuge der Hollerkolonisation ab 1135 von Stade ausgehend in west-östlicher Richtung errichtet. Er zeigt die mittelalterliche Deichstruktur und Deichlinie (6 m NN). Er hat die für das Mittelalter typischen, steilen Böschungswinkel und besteht komplett aus Kleierde. Das Denkmal ist Beispiel für Wasserbau, Deichbau, Deich- und Rechtsgeschichte. Auf dem Foto erkennt man links des Deichs die alte Hauptstraße, rechts die Kreisstraße 39, deren Straßenführung der historischen Deichlinie des ursprünglichen Elbdeichs folgt (Bodendenkmal).
3 Das Große Brack
…ab 12. Jh. Hier in Borstel verlief eine der meistgefährdeten Deichstrecken. Besonders im 17. Jh. kam es immer wieder zu Deichdurchbrüchen und das einströmende Wasser spülte tiefe Bracks auf der damaligen Deichinnenseite aus. 1756 verursachte die Markusflut das Große Brack in der jetzigen Ausdehnung. Es ist ein beeindruckendes Zeugnis des andauernden Kampfes der Altländer gegen Überflutungen und die damit verbundenen Innovationen im Deichbau. Mit seiner großen Wasserfläche mit Reetflächen, Erlen und Weidenbewuchs ist das Naturschutzgebiet ein Beispiel für die ursprüngliche Naturlandschaft vor der Urbarmachung durch die Hollerkolonisation.
4 a/b Die Flussdeiche an Lühe und Este
12. Jh. Die Flussdeiche sind Denkmale des Deichbaus und Beispiele für die typischen Deichhufendörfer: Deich, Straße, Vorgärten und Höfe folgen den Schwingungen des Flusses. Die Höfe sind giebelständig zum Deich ausgerichtet, die historischen Hufen der landwirtschaftlichen Flächen erstrecken sich als lange Streifenparzellen, die sogenannten Deich- oder Marschhufen. Am westlichen Lühedeich sind besonders viele Fachhallenhäuser mit Prunkgiebeln erhalten und zeugen von außergewöhnlicher, bäuerlicher Baukunst.
5 Estebrügge
1200 erstmals urkundlich erwähnt; der Ort ist von zentraler Bedeutung; es ist das einzige Kirchspiel beiderseits der Este. Bis 1875 befindet sich hier die einzige befahrbare Brücke flussabwärts von Buxtehude. An der Estebrücke kreuzen sich Wasserstraße und Landweg von Buxtehude nach Hamburg. Der Ort entwickelte sich zum bedeutenden Handelsplatz; Münzstätte im 16. Jh. Kaufleute, Handwerker, Schiffer und Gastwirte siedelten sich an. Die Bürgerei mit der einzigartigen dichten Bebauung auf und am Deich ist für die Altländer Brückensiedlungen charakteristisch. Bis heute hohe Zahl ortsansässiger Reeder: Der Estebrügger Markt, der 1595 erstmals urkundlich erwähnt wird, findet bis heute alljährlich im September statt.
6 Der Gräfenhof
13. Jh., seit 1980 Jorker Rathaus. Die Hofstelle in der Ortsmitte des Marschhufendorfes Jork, am Fleet, geht unmittelbar auf die Hollerkolonisation zurück. 1648 übernahm der Gräfe Matthäus von Haren den Hof. Er ließ 1649/51 vor das Fachhallenhaus das beeindruckende zweistöckige Querhaus bauen. Bis in die 1970er Jahre wurde der Hof landwirtschaftlich genutzt. 1976 – 1980 wurde die T-förmige Hausgruppe aufwendig restauriert. Der Gräfenhof und die Landesstube [7] in der Jorker Bürgerei sind hervorragende Beispiele Altländer Baukunst aus der Zeit des Barock. Beide Denkmale stehen für die frühe Form der Demokratie und Selbstverwaltung des Alten Landes.
7 Die Landesstube
…war seit ihrem Bau im 17. Jh. Sitz der obersten Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Hier tagten das oberste Gericht des Alten Landes sowie die Landesversammlung. Nach frühem genossenschaftlichen Prinzip organisierten die Altländer ihre Verwaltung selbst und spätestens ab 1361 führten gewählte Hauptleute das Siegel der Landesgemeinde und vertraten das Alte Land nach außen. Das sehr aufwendige Buntmauerwerk zeigt teilweise eine nur in Jork vorkommende Eigenart: Der Wechsel von kleinen roten mit gelben Leydener Steinen hebt das Gebäude aus der Reihe der Wohnhäuser hervor und zeugt von Reichtum und andauernden Handelsbeziehungen mit den Niederlanden.
8 Das Altenteilerhaus
1587, ältestes erhaltenes Fachwerkgebäude. Der Erbauer Heinrich zum Felde war einer der reichsten Männer des Alten Landes seiner Zeit, ein selbst- und standesbewusster Altländer Bauer in der Landesversammlung. Zwölf Jahre übernahm er als Gräfe Verantwortung für die Geschicke des Alten Landes. Das Altenteilerhaus ist Beispiel für Wohlstand und Baukunst der Altländer bäuerlichen Gesellschaft und das außergewöhnliche Erbrecht innerhalb der Hollerkolonie.
9 Der Harmshof
…mittelalterliche Hofanlage mit Durchfahrtscheune und Küchengraben, schriftlich nachgewiesen durch Steuerlisten von 1535. Das große Fachhallenhaus wurde 1606 erbaut, im 18. Jh. verlängert und der Prunkgeiebel im Stil des Klassizismus errichtet. Bauholz war in der Marsch kostbar und wurde wiederverwendet. Am Harmshof wird Baugeschichte nachvollziehbar. Holzbalken des Prunkgiebels von 1606 mit geschnitzten Sonnenmotiven sind im Schafstall sichtbar. Hofbesitzer des Harmshofes beteiligten sich als Hauptleute an der Selbstverwaltung der Landesgemeinde, Gerd Harms war von ca. 1818 bis ca. 1832/1833 Landesdeputierter des Alten Landes.
10 Hof Kolster mit Prunkpforte
Der Hof wird 1524 erstmals erwähnt. An der Ausrichtung der Hofanlage mit der Grootdör zum Deich erkennt man, dass die Hofanlage älter und bereits sächsischen Ursprungs ist. Hier wird der kulturelle Einfluss der Hollerkolonisation auf die Ur-Bevölkerung erkennbar. Es galten im Alten Land besondere Frauen- und Erbrechte, die hier beispielhaft durch Anneke Semmelhake (1570) und Anke Köser (1640) als Eigentümerinnen des Hofes belegt sind. Die Prunkpforte ist Statussymbol des selbstbewussten Altländer Bauernstandes. Hof- und Baugeschichte stehen beispielhaft für die andauernde Kulturlandschaft und ihre Echtheit bis heute.
11 Kirche und Kirchhof in Steinkirchen
12. Jh. Die steinerne Kirche ist namensgebend für den Hauptort der Ersten Meile, der 1148 erstmalig erwähnt wird. Der Umbau zu dem heutigen barocken Saalbau erfolgte 1685 bis 1787. Die Kirche hatte bereits 1510 eine Orgel (älteste im Alten Land), die 1685/87 durch eine von Arp Schnitger ersetzt wurde. Rund um die Kirche stehen viele gut erhaltene Grabmäler – die ältesten datieren ins 16. Jh. – St. Martini-et-Nikolai steht für Baugeschichte, Wohlstand der Altländer, sowie das immaterielle Welterbe: Orgelbau und -musik.
12 Die Esteburg
Das Rittergut ist ein außergewöhnlicher Adelssitz und namensgebend für das auf den Betriebsflächen ansässige Forschungs- und Kompetenzzentrum für den Obstbau. Bereits 1607 wurde das Vorwerk errichtet, ein 38 m langes Fachhallenhaus ohne Wohnteil, das 1983 abbrannte. 1609–1611 erbaute der Gräfe von Schulte das massive Herrenhaus im Stil des niederländisch-nordischen Manierismus. Die Pachtflächen werden seit 1964 von der Obstbauversuchsanstalt bewirtschaftet. Die Esteburg steht für 700 Jahre Tradition des Erwerbs-Obstbaus, Innovation und Wissenstransfer aus dem Alten Land in die Welt.
13 Der Borsteler Hafen mit Tjalk
…repräsentiert die Schifffahrt und die jahrhundertealten, europaweiten Handelsbeziehungen. Der Hafen lag bis zur Deichverlegung in den 1970er Jahren außendeichs. Bis heute läuft die Entwässerung über das Fleet und die Borsteler Schleuse in den Hafen, von dort in die heutige Binnenelbe und über weitere Schleusen im heutigen Elbdeich in die Elbe. Bis ins 20. Jh. dienten diese Entwässerungsstrukturen gleichzeitig als Verkehrswege. Quasi jeder Hof hatte einen eigenen Anlegeplatz und es gab zahlreiche Häfen. Der Borsteler war bis 1962 der Bedeutendste.